Etikette und Kleiderordnung
Das Personal in Monte Carlo verwehrte dem unvergessenen Weltstar Curd Jürgens den Eintritt in die berühmteste Spielbank der Welt. Weil der »normannische Kleiderschrank«, wie ihn Brigitte Bardot nannte, ein offenes Hemd trug. Der sympathische Lebenskünstler reagierte blitzschnell: Er steckte sich einen Tausend-Franc-Schein als Fliege ans Hemd- und durfte in den »Sales Prives«. Der stets elegante Curd Jürgens wäre heute in Monte Carlo zutiefst geschockt, würde auf der Stelle umkehren: Da tummeln sich tumbe, polternde Touristen in T Shirts, Jeans und geschmackloser Freizeitkleidung zwischen Lüstern, Fresken und Gemälden. Wo einst ein russischer Großfürst seine Dörfer verspielte und dann mit seiner Pistole die Kristallspiegel zerschoss, liegen Zigarettenstummel und Abfälle auf dem Boden.
Der Chic im Dinner-Jacket
Zugeständnisse an den Geschmack des Durchschnitts-Amerikaners bewirken den enormen Stilbruch zum äußeren Glanz, den »Zuckerbäcker«Architekt Charles Garnier 1856 herbeigezaubert hat. Heute dominiert die Eleganz von Ohio und Idaho. »Gibt es eigentlich ein reizvolleres Bild, als eine schöne, sorgfältig zurechtgemachte Frau in schneeweißem Dekollete, mit funkelndem Schmuck, die mit langen weißen Schwedenhandschuhen bunte Chips über den grünen Spieltisch streut?«, schwärmte im Mai 1953 die Kur- und Casino-Zeitung von Lindau am Bodensee. Sie vermittelte als »Knigge im Spielsaal« auch diese Informationen: »Schon um 8 Uhr ändert sich das Bild. Jetzt zögert auch der größte Banause, die im hellsten Licht erstrahlenden Räume im grauen Sakko zu betreten.
Die festliche Atmosphäre des Abends teilt sich auch jenen mit, die “nur mal eben ein paar Chips riskieren wollen”. Fast unbewusst wählen sie in ihren Hotelzimmern einen dunklen Sakko oder – wenn sie in Damen- Gesellschaft sind, das Dinner-Jacket. Diese Zeiten sind wohl endgültig vorbei. Die europäischen Casinos, früher ein Inbegriff von erlesenem Chic, kostbarem Schmuck und glitzernden Roben, mussten in puncto Etikette gewaltig zurückstecken.
Bitte keine Jeans
Aber die meisten Unternehmen legen noch Wert auf »angemessene Kleidung«. »Nicht zu sportlich für die Damen«, verlangt die Direktion von Baden-Baden. Sie legt sogar schriftlich fest: »In Uniform haben nur Offiziere der Bundeswehr oder ausländischer Staaten Zutritt zu den Spielsälen«. Während in Bad Neuenahr »Gästen in Uniform das Betreten der Spielsäle nicht gestattet ist«. Damen in Jeans werden in den meisten deutschen Casinos abgewiesen. »Keine Lederjacken und Jeans«, bittet Bad Homburg. Die Spielbank Saarbrücken formuliert es so: »Damen in Jeans sind nicht gerne gesehen«. Ohne Sakko und Krawatte können sich Herren am Abend in fast keinem europäischen Casino blicken lassen. In underdressed-Fällen helfen die Garderoben aus, verleihen Jacketts und Selbstbinder.
Slips, Krawatten und Sakko zum Ausleihen
In Hamburg für fünf Mark pro Schlips, zehn Mark das Sakko. »An Hitzetagen wird Erleichterung gewährt« – in Borkum und Norderney. »Auch ohne Schlips und ohne Nerz«, wirbt Bad Zwischenahn bei Oldenburg (Motto: »Mehr erleben als Meer erleben.«) Auf den sonst üblichen Kleiderzwang wollten jedoch einige Gentlemen partout nicht verzichten. Sie waren ebenso tadellos angezogen wie gut bewaffnet, als sie 1976 und 1977 das Jagdhaus Eiden überfielen, die Kasseneinnahmen (insgesamt 500000 Mark) raubten. Um zu Curd Jürgens zurückzukehren: Ihm räumte die Spielbank Berlin die einzige Ausnahme von ihrer Jakkett & Krawatte-Etikette ein. Der große Schauspieler durfte im schwarzseidenen Rollkragen-Pullover, mit wuchtigem Goldkreuz auf der breiten Brust, an den grünen Filz im Europa-Center. Auch wallende orientalische Gewänder vereinbaren sich schwerlich mit Selbstbindern. Berlins Outlook-Wächter akzeptieren die Kaftane der Scheichs als Nationaltracht. Unrasierte Gesichter goutieren sie keinesfalls. Auch als der Diplomat eines Entwicklungslandes 20 000 Mark aus seiner Tasche zog und tobte: »Wollt ihr mein Geld oder meinen Bart?« Er musste unverrichteter Dinge umkehren. An Bayerns Staatskesseln hört die Tradition bei Lederhosen auf. Krachlederne in Spielbanken sind verpönt .. Ebenso fallen Sandalen und Turnschuhe aus der »Schale «.
In Europa kostet der Eintritt
Ausweis, entsprechendes Alter, finanzielle Bonität, ausgefüllte Karteikarte und respektierte Kleidung gewährleisten noch nicht, dass aus dem Spiel Ernst wird. In Europa muss der Gast ein Billet lösen und auf der Rückseite unterschreiben. Fünf Mark verlangen alle deutschen Unternehmen für die Gelegenheit zum öffentlichen Glücksspiel. Ihre Gegenleistung besteht nur aus der Chance auf einen Gewinn. Warum also das Entgelt? Casinos in Las Vegas, Reno und Atlantic City buhlen mit aufregenden Shows, Geschenken, Gratis-Drinks, kulinarischen Genüssen zum Billigst-Tarif, gebührenfreien Telefonaten, kostenlosen Zigaretten und Jetons um Besucher. » You play. We pay« (Sie spielen, wir bezahlen), locken die Leuchtstoffröhren-Paläste.
Wer sein Geld riskiert, logiert (fast) umsonst. Kein Cent Eintritt. Auf dem »alten Kontinent« hingegen kassieren Casinos auch dafür, daß sie mit legalen Mitteln ihrer Klientel möglicherweise die Barschaft abknöpfen. Das ist doch paradox: Ein Gast zahlt, damit er verlieren soll. Denn Casinos repräsentieren keine Wohlfahrtsinstitute, die Geld verschenken. Ihr Geschäftsziel heißt Gewinne machen – auf Kosten der Spieler. Die bestreiten mit ihren Trinkgeldern die Gehälter der Croupiers, finanzieren mit ihrem Eintritt auch noch einen Teil der Verwaltung. Außer sie sind Diners- Club-Mitglieder und besitzen die kleine, blaue Intreco-VIP-Karte. Diese Privilegierten dürfen bis zu sechsmal pro Jahr umsonst in fast jedes deutsche Casino, genießen Gratis-Service auch in Österreich, Ungarn, Holland und Blankenberge (Belgien). Ein Hauptargument der Casino-Bosse für den Karten-Verkauf: In Europa beträgt die Spielbankenabgabe rund 80 Prozent der Bruttospielerträge, die dem Verlust der Gäste entsprechen. Davon dürfen keine Unkosten abgezogen werden. Die »Casinos Austria« sind mit 91 Prozent das höchstbesteuerte Unternehmen der Welt. Im deutschen Bundesland Niedersachsen verbleiben den »gewerbsmäßigen Unternehmen zur Pflege des Glückspiels« fünfzehn Prozent vom Gewinn.
Der Staat verdient mit
In Berlin schnappt sich der Fiskus gar 90 Prozent des Saldos. In Übersee liegen die Abgaben bei sechs bis acht Prozent. Deshalb fällt es also Managements in Nevada und auf der schmalen Halbinsel New Jersey nicht schwer, großzügiger zu sein. »Der Eintritt ist eine Art Schutzgebühr, damit nicht jedermann reingeht. Er unterstreicht die Besonderheit eines Besuchs«, argumentiert Oberregierungsrat Ernst Brix von den Bayerischen Spielbanken. Die offerieren für 125 Mark eine Jahreskarte, gültig für alle vier Betriebe. Die »Casinos Austria« fanden folgenden Ausweg aus der Diskrepanz: Der Besucher löst für 130 Schilling eine Tageskarte. Dafür erzählt er aber Gratis-Jetons oder Münzen (für die Automaten) im Wert von 150 Schilling.
Gratis Chips zum Geburtstag
Eine weitere Besonderheit in der Alpenrepublik: Der Empfang schenkt Damen an ihrem Geburtstag (auch einen Tag davor und danach) einen Spezial-Jeton für diesen Anlass. In den ungarischen Betrieben Budapest und Heviz am Plattensee wird der Eintritt von fünf Mark sofort in Form eines Jetons refundiert. Geburtstagskinder sparen in Hamburg fünf Mark. »Der Verlust der Karte ist sofort zu melden. Ein Ersatzanspruch besteht nicht. Der Inhaber ist für eventuellen Missbrauch durch andere verantwortlich«, bestimmt die Tageskarte in Hamburg, wo »viele Herren, auf der Reeperbahn Loddels genannt, an die Spieltische drängen « (Cosmopolitan).
Neulinge im Kugel- und Karten-Metier fragen sich oft, was diese Klauseln exakt bedeuten? Etliche Casinos verzichten auf die Ausweiskontrolle, wenn ein Gast den Einlassschein vom letzten Besuch vorlegt. Der Angestellte am Entree vergewissert sich dann bloß, ob an der Karteikarte nicht inzwischen ein Sperrvermerk angebracht ist. Dabei kann die Eintrittskarte geklaut oder gefunden sein, der Name darauf von der Identität des Inhabers völlig abweichen. Eine weitere Vereinbarung, die mit dem Kauf der Eintrittskarte getroffen wird: »Der Besucher unterwirft sich bei vorkommenden Meinungsverschiedenheiten der schiedsgutachterlichen Entscheidung der Spielbankdirektion « (so der Text in Wiesbaden).
Ein Ritual, das Sie einmal aufmerksam beobachten sollten. Die Zeremonie, ein Schauspiel für sich, wenn ein Roulette-Tisch »erwacht«. Zunächst öffnet der Saaldiener den versperrten Zylinder. Er entfernt die Plastikhaube, die den Kessel vor Manipulationen schützt. Dann schleppt der Page eine verschlossene Ledertasche herbei. Darin befindet sich die »Lage«: das Spielkapital und die Kugel aus Teflon (8 oder 11 mm Durchmesser) oder Elfenbein (19 bzw. 21 mm Durchmesser). Die Lage hängt vom Maximum am Tisch ab. Vom Höchsteinsatz, den das Casino seine Gäste riskieren lässt.
In Baden-Baden 200, 300, 500 oder 1000 Mark auf Plein. Entsprechend 7000, 10 000, 20 000 oder 40 000 auf den einfachen Chancen. Das Kapital der Bank beträgt zwischen 250000 und 1,5 Millionen Mark pro Tisch. Reicht es nicht, wird die »Nachlage« herbeigeklingelt. Inzwischen sind die Akteure, einer Hofgesellschaft ähnlich, zur Etikette angetreten: Mindestens ein Finanzbeamter, der Saal-Chef (oder technischer Direktor), der Kassenleiter und die Tisch-Mannschaft (vier Croupiers). Vor den Augen des Staatswächters schließt der Betriebs-Kassier die Tasche auf. Die Jetons werden aufgelegt, abgezählt, aufgestellt.
Das geschieht nach einem exakten Schema: Das Lage-Team entfächert die einzelnen Stückgrößen auf einer bestimmten Nummer am Tableau zur Musterung und staffelt Fraktionen, die dann ein tolles Bild ergeben. Die Mannschaft postiert üblicherweise die höchsten Chip-Werte, also die 10 000-Mark-Plaques, auf der Zero. Darunter die 5000er und 1000er. Die sogenannten »Louis«, die kleinsten Werte, bleiben meist in den Holzkistchen. Der Finanzbeamte und der Kassenleiter fertigen jeweils ein Protokoll an.
Sie überprüfen und versperren die zwei Tronc-Behälter und die Kassette für die Geldscheine, die am Tisch in Jetons umgetauscht werden. Der Saal-Chef stellt fest: »Ca va, Monsieurs« (Alles in Ordnung, meine Herren). Das Signal für die Croupiers, dass sie ihre Plätze einnehmen dürfen. Der Drehcroupier legt die Kugel auf die Zahl, die dem Datum des Spieltages entspricht. Er setzt den Kessel im Uhrzeigersinn in Bewegung. Die technischen Angestellten dürfen die Chips noch nicht berühren. Erst wenn sie auf ihre Frage »Chef, banque ce ouvert?« (Chef, ist die Bank geöffnet?), positiven Bescheid erhalten.